auto-exotica

20. Juni 2022, Sara Sherif

Silberlocken in unruhigen Gewässern. Siwa, Oktober 2021.

Silberlocken in unruhigen Gewässern. Siwa, Oktober 2021.

AUTO-EXOTICA

Pilotepisode

An jenem Augustmorgen an der Nordküste war der Strand menschenleer, abgesehen von den einzelnen Silhouetten in der Ferne, die ich einzuholen versuchte. Die Sonne brannte bereits. Es war mein zweiter Tag hier, und ich hatte beschlossen, mich für einen Yogakurs der Ferienanlage anzumelden. Vielleicht könnte ich dort ein paar Freunde finden? Zum ersten Mal war ich nicht nur auf der Durchreise in Ägypten. Ich, die ich jedes Jahr die Langeweile eines zu langen Aufenthalts fürchtete, hatte beschlossen, mich für ein paar Monate in diesem Land niederzulassen, das... eigentlich auch meines war. In der Schweiz aufgewachsen, hatte ich in Ägypten keine Freund:innen, nur Familie, meine ganze Familie.

Ich setze mich unauffällig hin. Der Unterricht hat bereits begonnen. Im Schneidersitz blicke ich auf das Wasser. Das Mittelmeer glitzert, sein Wasser ist durchscheinend. Wir sind nur zu viert in dieser Yogastunde. Zu meiner Linken, in einem übergrossen T-Shirt, glaube ich die junge Frau zu erkennen, deren Schönheit mich schon letztes Jahr überwältigt hat. Ihre Haltung ist ruhig, ihre Gesichtszüge fein, ihre Figur schmal und ihr Lächeln strahlend. Eine Solange Knowles mit mediterranen Zügen. Neben ihr steht ein kleines Mädchen – ihr kleines Mädchen – mit bronzenen Locken und goldenen Strähnchen und ahmt ihre Bewegungen nach. Ich betrachte dieses wunderbare Bild und bin fasziniert von der Schönheit, die manche Ägypter:innen ausstrahlen können.

Die Tage vergehen, und ich sehne mich danach, mit ihr zu sprechen. Am Strand setzt sie sich immer an denselben Platz mit ihrer Familie. Eines Nachmittags, als ich am Wasser spazieren gehe, sehe ich sie abseits der Gruppe stehen und beschliesse, meine Schüchternheit zu überwinden. Ich stürze mich ins Gespräch und gestehe ihr, wie anziehend ihre Energie auf mich wirkt. Sie ist aufgeschlossen, warm und freundlich. Ihr Name ist Mariam. Sie ist auch Architektin.

Moon Safari, Pénélopes Reise.

Moon Safari, Pénélopes Reise.

So erfahre ich, dass meine Mutter sie bereits im Jahr zuvor angesprochen hat, um ihr zu sagen, wie sehr sie sie an ihre Tochter erinnern würde. Ihre Tochter... also ich? Sicher, wir haben beide lockiges braunes Haar, einen matten Teint und ein schmales Gesicht. Aber ich im Vergleich zu einer solchen Schönheit? Übertreiben wir nicht. Nur war meine Mutter nicht die Einzige, die diese Bemerkung machte. Einige Leute verwechselten uns, und der Yogalehrer dachte sogar, wir seien Schwestern. In gewisser Weise ergab es also Sinn.

Ich war fasziniert von dem, was Mariam repräsentierte – eine Schönheit, der ich mich so lange Zeit versperrt hatte. Ägypter:innen – als ob ich selbst keine wäre – hatte ich oft, unbewusst, herabgesetzt. Als Kind wollte ich meine Locken verstecken. Ich wünschte mir, mein Haar wäre glatt, wie das der anderen. Die anderen, zu denen ich auch nicht gehörte, von denen ich aber in der Schule gelernt hatte, dass Ägypten ein Land der Dritten Welt war. Ein Land des Elends, mit einer glänzenden Vergangenheit. Was die Ägypter:innen in Genf betrifft, so kannte ich kaum jemanden von ihnen. Aufgrund der aufdringlichen oder verurteilenden Reaktionen einiger Mitglieder der Diaspora auf die Trennung meiner Eltern hatten meine Mutter und ich uns von der Gemeinschaft distanziert. Französisch ist meine Muttersprache, aber die Sprache meiner Mutter ist Arabisch. Ich war immer hin- und hergerissen zwischen zwei Kulturen; der schweizerischen, in der ich aufgewachsen bin, und der ägyptischen, die mir im Blut liegt, die ich aber immer nur mit den Fingerspitzen greifen konnte. Deshalb beschloss ich nach Abschluss meines Studiums, mich für ein halbes Jahr dort niederzulassen. Eine Rückkehr zu meinen Wurzeln, die ich brauchte, um mit der Komplexität dieser fragmentierten Identität umzugehen.

Ich war fasziniert von dem, was Mariam repräsentierte – diese Faszination, die mich während meines gesamten Aufenthalts begleitete, nannte ich Autoexotismus: Ein Blick von aussen, der gleichzeitig von innen kommt. Eine Form von assimiliertem Orientalismus, wie Said sagen würde. Ein Blick, den ich erforschen, verstehen und wer weiss... vielleicht sogar dekonstruieren wollte. Dies ist der Beginn einer inneren Reise – zwischen der Schweiz und Ägypten – mit dem Mittelmeer als zentralem Bezugspunkt.

Sonnenuntergang über dem Mond.
Sonnenuntergang über dem Mond.
Taxi.
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Chicha sur l'herbe.
Chicha sur l'herbe.
Kleopatras Chaiselongue.
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Unterschwellige Botschaft.
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Flugsicht eines Skarabäus.
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