Zeitgeist und Landesausstellungen – Das Kuratorium hinter der NEXPO
02. April 2019, NEXPO TeamInterview mit Juri Steiner und Anne-Outram Mott
In diesem Interview unterhalten wir uns mit einem Teil des Kuratoren-Teams der NEXPO: Juri Steiner und Anne-Outram Mott schildern lebhaft, was die Landesausstellung für sie bedeutet und was bei der NEXPO ganz anders wird als bei ihren Vorläuferinnen.
Wie hat die Faszination für die Landesausstellung bei euch angefangen?
Juri Steiner: Landesausstellungen und Expos als Schweizer Grossanlässe habe ich als Jugendlicher erstmals auf Flohmärkten erlebt. Dort fand man jeweils Souvenirs und Bücher dazu. Kurz vor der Jahrtausendwende kam dann die Idee einer neuen Landesausstellung, welche die Handschrift der ersten künstlerischen Leiterin, Pipilotti Rist, trug. Das war ein überraschendes Zeichen. Davor haben sich viele Kulturschaffende der Idee einer neuen Expo verweigert. Es war zu dieser Zeit weder opportun noch chic, bei einem solchen Grossprojekte mitzuwirken.
Man darf nicht vergessen, dass damals der «Fichenskandal» und die Diskussion um die 700-Jahrfeier der Eidgenossenschaft 1991 noch präsent waren. Das Verhältnis zwischen Kultur und Staat war angespannt. Vielleicht gerade deswegen wurde die Expo.02 dann zu einer Plattform für jüngere Kulturschaffende, die sich sagten: Hier kann ich für etwas Neues Verantwortung übernehmen. Und so begann auch ich politische Prozesse oder kulturelle Veranstaltungen im Vorfeld der Expo.02 plötzlich mit ganz anderen Augen zu sehen. Es fühlte sich an, als würde man zum ersten Mal Zirkusluft schnuppern.
Anne-Outram, hattest du eine ähnliche Wahrnehmung der Expo.02?
Anne-Outram Mott: Für mich war es anders. Ich wusste eigentlich gar nicht, was eine Landesausstellung ist, da ich nicht in der Schweiz aufgewachsen bin. Nationale Ausstellungen sind ja eine weltweit einzigartige Besonderheit.
Ich verbinde die Expo.02 mit der Entdeckung des Drei-Seen-Landes. Die Seen, das Wasser und auch die Idee, eine ganze Region «bespielen» zu können, um sich mit der Gegenwart und Zukunft der Schweiz auseinanderzusetzen. Das machte für mich den einmaligen Charakter der Expo aus. Ich denke auch, dass das Zusammenkommen von Menschen jeden Alters mit ihren lokalen, regionalen, urbanen oder ländlichen Besonderheiten für eine Landesausstellung zentral ist. Diese Art der Öffnung einer Kultur für alle Menschen war für mich das besondere Erlebnis bei der Expo.02.
"Ich denke auch, dass das Zusammenkommen von Menschen jeden Alters mit ihren lokalen, regionalen, urbanen oder ländlichen Besonderheiten für eine Landesausstellung zentral ist." Anne-Outram Mott
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Abonniere unseren NewsletterEs gibt genauso viele Geschichten über Erfolge wie über gescheiterte Versuche der Expo. Was sagt eine Landesausstellung über den Zeitgeist aus?
Juri Steiner: Der Zeitgeist zeigt sich in der Interpretation einer Landesausstellung. Dabei ist festzustellen, dass das Format Landesausstellung, was ihre Identität angeht, einen langen Prozess durchlaufen hat. Denkt man heute an die Expo.02 zurück, erkennt man klar den hedonistischen Zeitgeist der Jahrtausendwende. Oder nehmen wir die Landi von 1939, die von der Stärkung der eigenen Schweizer Kultur bestimmt war und drohende Einflüsse aus dem Ausland abwehren wollte.
All das zeigt, dass der Zeitgeist immer präsent war. Erst Rückblickend wird das erkennbar. Schaut man sich Bücher und Filme zur Expo 64 an, spürt man, dass die Konsumgesellschaft damals noch jung und aus heutiger Perspektive „naiv“ war. Gleichzeitig gab es die Angst vor der Bedrohung des Kalten Krieges, die den riesigen Igel-Pavillon der Armee erklärt. Aber wahrscheinlich ist es nicht dieser Igel, der uns heute in Erinnerung bleibt, sondern die Maschine von Jean Tinguely, die kinetische Grossplastik «Heureka» aus Pleuelstangen, Zahnrädern und Metall. Diese schwarze Maschine machte Lärm. Die Räder und Stangen drehten sich in verschiedene Richtungen, aber sie produzierten nichts. Das kann man als kritischen Kommentar zur Konsumgesellschaft lesen, sogar als eine Art Weckruf. Ich lese daraus, dass es Dinge gibt, die man planen kann und Dinge, die bei Landesausstellungen einfach passieren. Ich glaube aber auch, dass es heute immer schwieriger wird, auch in Bezug auf das NEXPO-Projekt, grosse Zeitgeist-Tranchen schneiden zu können.
Was macht die NEXPO zum richtigen Konzept für die nächste Landesausstellung?
Juri Steiner: Die Charakteristiken der Dezentralität, Partizipation, und Evolution sind für mich die klaren Zeichen dafür, dass es sich bei der NEXPO um ein neues und relevantes Format handelt. Es hat alles damit angefangen als im Sommer 2016 die zehn Stadtpräsidentinnen und Stadtpräsidenten der grössten Schweizer Städte bei einem Espresso gemeinsam feststellten, dass das Scheitern des Projekts einer Landesausstellung in der Ostschweiz sehr bedauerlich sei. Man war sich einig, die Initiative zu ergreifen, um den „Dinosaurier“, wie die Expo in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) genannt wurde, nicht sterben zu lassen. Im Gegenteil. Sie erkannten die Chance – wenn man das Format neu erfindet.
Aus dieser Konstellation ergibt sich bereits die Dezentralität als NEXPO-Konzept, was auf den ersten Blick als Nachteil interpretiert werden könnte. Vielleicht ist es aber auch ein Zeichen der Zeit, dass man sich überhaupt eine dezentrale Durchführung vorstellen kann. Dezentralität ist ein Grundprinzip der Schweiz und sie entspricht dem aktuellen Zeitgeist. Nehmen wir Blockchain: auch dort ist Dezentralität das Thema.
Anne-Outram Mott: Ich denke, die Idee einer kollektiven Initiative und der gemeinsame Wille das Projekt schweizweit zu entwickeln, ist das herausragende Element. Die grossen Fragen wie Globalisierung, Migration, Klimawandel und natürlich auch Digitalisierung, können in einem derartigen Kollektiv am erfolgreichsten bearbeitet werden. All die «Knacknüsse», die uns zukünftig beschäftigen werden, können so gemeinsam angegangen werden. Die Vernetzung als Grundmotiv der NEXPO ist für uns die beste Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft.Welche emotionale oder konkrete Wirkung wird die NEXPO auf die Schweizer Bevölkerung haben?
Anne-Outram Mott: Was wir uns wünschen ist eine Landesausstellung, die zusammen mit den Bewohnerinnen und den Bewohnern der Schweiz gestaltet wird. Da ist natürlich das partizipative Element zentral. Wir wollen der Bevölkerung die Gelegenheit bieten, sich aktiv einzubringen bei der Frage, was unser Land ausmacht. Es geht darum, Neugierde und Interesse zu wecken, ein individuelles „Empowerment“ zu begünstigen und das Gemeinschaftsgefühl zu fördern. Es kann uns gelingen, gemeinsam Diversität zu definieren. Primär geht es nicht darum, das Kollektiv zu einer Einheit zu formen, sondern die Vielfalt in der Schweiz besser zu erforschen, zu hinterfragen und den gemeinsamen Nenner zu erkennen oder Differenzen fruchtbar werden zu lassen.
Juri Steiner: Wir definieren mit einer Landesausstellung unseren Lebensraum. Diesen Raum sollten alle mitgestalten dürfen, weil er jedem und jeder gehört – es sind deine Berge, es ist dein Wasser, deine Stadt und deine Agglo! Der Aufruf, kreativ zu sein und mitzuwirken ist, besonders für die junge Generation, sehr wichtig. Die NEXPO ist eine kulturelles Generationenprojekt, das den Ideen, was die Schweiz im 21. Jahrhundert darstellen kann, Gestalt gibt.
"Wir definieren mit einer Landesausstellung unseren Lebensraum. Diesen Raum sollten alle mitgestalten dürfen, weil er jedem und jeder gehört – es sind deine Berge, es ist dein Wasser, deine Stadt und deine Agglo!" Juri Steiner
Könnt ihr uns mehr erzählen über das partizipative Element der NEXPO?
Juri Steiner: Es geht darum, Anreize zu schaffen, damit die NEXPO wirklich partizipativ wird. Es dürfen nicht nur ökonomische Anreize wie Geld sein. Die Landesausstellung war immer Paradebeispiel für einen sehr teuren Anlass, der durch Bund, Kantone, austragende Standorte, private Sponsoren und Mäzene ausgerichtet wurde. In der Zwischenzeit gibt es aber auch alternative Finanzierungsformen für kulturelle und andere Projekte. Das ist die sogenannte Crowdfunding-Kultur, bei der es um Werte geht und nicht nur darum, Geld zu verdienen. Die Mittel kommen von Menschen, die der Meinung sind, dass das Geld gut und sinnvoll investiert ist.
Diese Idee hat auch etwas Spielerisches. Damit möchte ich sagen, dass es nicht einfach der «Homo oeconomicus» ist, der im Rahmen der NEXPO gefragt ist, sondern auch der «Homo ludens». Es gibt ja die schöne und romantische Vorstellung, dass der Mensch erst dann richtig Mensch ist, wenn er spielt.
Anne-Outram Mott: Die NEXPO will ja als Katalysator für bestehende wie noch zu erfindende Initiativen wirken. Wir stellen sie uns als Probebühne für Ideen und als Terrain für die Jugend vor. Deshalb ist für mich Vielfalt das A und O. Dabei geht es um verschiedene Regionen, Traditionen, Sprachen, aber auch um generationsübergreifende Begegnungen. In einer Zeit des rasanten Wandels müssen wir der Bevölkerung eine Möglichkeit bieten, sich austauschen zu können. Ob Heimat, Fortschritt, Nachhaltigkeit, Tradition oder Toleranz, die Werte, welche wir uns für unsere Zukunft wünschen, sollen gemeinsam diskutiert, debattiert und verhandelt werden. Die Diversität ist also nicht nur regional gedacht, sondern auch auf die Vielfalt der Meinungen Werte über Generationen bezogen.Welche Schweizer Traditionen werden auch die kommenden Landesaustellungen überleben?
Anne-Outram Mott: Die Schweiz ist eine Willensnation, also eine bewusst gewollte Gemeinschaft, die keine gemeinsame Sprache und keine gemeinsame Religion hat. Eine Landesausstellung ist beispielhafter Ausdruck dieses Willens. Und er wird bestimmt auch über die kommende Landesausstellung hinaus weiter wirken.
Juri Steiner: Für mich wird der Verein als urschweizerisches Prinzip der Zusammenkunft, des zivilgesellschaftlichen Engagements und des Mitspracherechts unsere Landesausstellungen überleben. Ein Verein ist demokratisch und ein gesellschaftliches Erfolgsmodell. Nicht umsonst ist auch die NEXPO ein Verein.
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