Eine Landesausstellung, die technologisches Neuland betritt

03. September 2019, Yves Bisang und Juri Steiner ​

Im Interview mit Ozan Polat vom Thinktank Dezentrum

Dezentrum, Ozan Polat
Das Dezentrum entwickelt positive Zukunftsszenarien für die digitale Gesellschaft von morgen. Ozan Polat ist Partner beim Dezentrum und fasziniert von autonomen digitalen Entitäten und der Interaktion zwischen Mensch und Maschine.

Seit den 1970er Jahren lässt sich in verschiedenen Bereichen ein Trend zur Dezentralisierung beobachten. ÖkonomInnen setzen auf dezentralisierte Methoden, um Effizienz zu erreichen; IT-Systemen wird durch Dezentralisierung eine höhere Sicherheit zugesprochen; Unternehmen setzen auf flache Hierarchien sowie dezentrale Organisationsstrukturen, und die Schweiz dient Ländern wie Südkorea als Inspiration für eine dezentrale Regierungsstruktur.

Dieser Trend zeigt sich auch bei Landesausstellungen. Wenn man Dezentralität auf die örtliche Austragung bezieht, nimmt sie rückblickend einen immer dezentraleren Charakter an: Während die letzten beiden Landesausstellungen Zürich (1939) und Lausanne (1964) jeweils noch an einem einzigen Ort konzentriert waren, umfasste die Expo.02 ein Netzwerk aus den vier Städten Biel, Murten, Yverdon-les-Bains und Neuenburg. Die nächste Landestaustellung soll diese Entwicklung bewusst weiterführen: Sie wird zu einer über mindestens 10 Städte verteilten NEXPO.

Ozan Polat, der ThinkTank Dezentrum hat eine Studie zum Potenzial von «dezentralen Technologien» für die NEXPO gemacht. Was ist dabei herausgekommen?

Die angedachte Plattform – als Herzstück der NEXPO – soll die teilnehmende Bevölkerung als aktiv mitgestaltende Akteure der NEXPO mobilisieren und idealerweise auf einer dezentralen Technologie aufbauen. Eine technisch dezentrale Plattform macht Nutzerinnen und Nutzer zu Teilhaberinnen und Teilhabern, indem sie alle das Netzwerk über einen eigenen Knotenpunkt mittragen. Eine zentrale Instanz, die die Daten sammelt und validiert, ist nicht mehr nötig. Eine solche Plattform kann man sich als Blockchain-basierte, dezentrale Lösung vorstellen. Damit würde die NEXPO ein spannendes Anwendungsbeispiel für diese neue Technologie mit weitreichenden Auswirkungen auf unser Verständnis von politischen Prozessen und Partizipationsmöglichkeiten.

Die NEXPO findet an verschiedenen Orten in der Schweiz statt, ist damit die Dezentralität nicht bereits eingelöst?

Sie ist damit sicher ein Stück weit eingelöst. Uns interessiert auf der einen Seite die technische Dezentralisierung der Projektplattform – Stichwort Blockchain – und auf der anderen Seite die organisatorische sowie partizipative Dezentralisierung und damit einhergehend die zusätzliche Ermächtigung der Nutzerinnen und Nutzer. Sie werden neu zu Trägerinnen und Trägern des Projekts. Die Schweizer Bevölkerung gestaltet ihre eigene Landesausstellung. Da sieht man schön, wie eng die beiden Begriffe Dezentralität und Partizipation miteinander verknüpft sind.

«Im Unterschied zur letzten Landesausstellung vor 17 Jahren wird heute auch bei den Prozessen mehr Transparenz eingefordert, ob politisch, ökonomisch oder inhaltlich. Es besteht bei uns allen das Bedürfnis, an den Debatten teilnehmen zu können, und zwar nicht nur als Scheindebatte oder Alibi.» Ozan Polat

Auf dem Laufenden bleiben?

Abonniere unseren Newsletter

Die Schweiz ist mit ihrem föderalistischen und direkt-demokratischen System bereits Vorreiterin in Sachen Dezentralität und Partizipation. Geht es bei dieser Plattform somit um eine technische Beschleunigung zweier an sich urschweizerischen Werte?

Ja, zum einen geht es um das bekannte IT-Prinzip «better, faster, cheaper». Neue Technologien vereinfachen und beschleunigen bereits bestehende Werte. Nehmen wir z. B. «E-Voting». Da geht es darum, die Hürde zur Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen tiefer zu machen und trotzdem Sicherheiten wie Anonymität und Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten. Da gibt es bereits mehrere Initiativen, die das mit der nötigen Vorsicht angehen, die man dann mit der NEXPO kombinieren könnte.

Im Unterschied zur letzten Landesausstellung vor 17 Jahren wird heute auch bei den Prozessen mehr Transparenz eingefordert, ob politisch, ökonomisch oder inhaltlich. Es besteht bei uns allen das Bedürfnis, an den Debatten teilnehmen zu können, und zwar nicht nur als Scheindebatte oder Alibi. Eine dezentrale Plattform bietet die technischen Möglichkeiten, eine Mitmachkampagne, wie sie schon die EXPO.02 kannte, neu und transparent zu gestalten. Wir können den Puls bei der Bevölkerung besser spüren und näher an den Themen, die die Menschen beschäftigen, dran sein.

Was ist das Innovative an einer technisch dezentralen Plattform?

Wird eine Plattform über einen einzelnen Server betrieben, besteht immer ein gewisses Sicherheitsrisiko – ein sogenannter «Single Point of Failure». Der Server kann abstürzen, jemand kann von aussen den Server hacken und Informationen stehlen oder manipulieren. Nehmen wir nun die Kontrolle von diesem einen Server und verteilen sie auf zehn verschiedene Städte oder auf die gesamte Bevölkerung, erreichen wir damit eine deutlich höhere Systemsicherheit. Damit sind wir beim Thema Blockchain und dezentrale Technologien, einem der innovativsten Forschungsfelder der letzten Jahre. Die Nutzung von Blockchain-basierten Technologien für die Konzeption und Umsetzung einer kompletten Landesausstellung – ein derart grosses und wichtiges Generationenprojekt – katapultiert das Ganze in eine völlig neue Dimension. Da betreten wir absolutes Neuland und bauen ein Leuchtturmprojekt.

Was wäre der grösstmögliche Grad an technischer Dezentralisierung für eine solche Plattform?

Der höchste Grad wäre erreicht, wenn alle diese Plattform mittragen würden mit einen eigenen Mini-Computer, um das Netzwerk abzusichern.

«Grosse, Blockchain-basierte Netzwerke brauchen aktuell noch eine enorm hohe Rechenleistung.» Ozan Polat
Ozan Polat, Dezentrum
Ozan Polat, Dezentrum

Was sind dabei die grössten Herausforderungen?

Die Skalierung von öffentlichen Blockchain-Netzwerken ist zurzeit das grösste Problem. Im Herbst 2017 zeigten beliebte dezentrale Applikationen auf der Ethereum-Blockchain, dass eine grossflächige Nutzung und die damit einhergehende erhöhte Anzahl an Transaktionen das Netzwerk «verstopften». Grosse, Blockchain-basierte Netzwerke brauchen aktuell noch eine enorm hohe Rechenleistung.

Ist so etwas für die NEXPO überhaupt denkbar und vor allem nötig oder reichen uns weniger dezentrale Alternativen?

Es gibt die Möglichkeit einer «Permissioned Blockchain», bei der die Partizipation am Netzwerk nur für zugelassene (z. B. zuvor registrierte) TeilnehmerInnen möglich ist. Im Falle der NEXPO würde das bedeuten, dass man zum Beispiel erst an der NEXPLORER-Umfrage teilnimmt, bevor man Teil des NEXPO-Netzwerks wird und am Projekt partizipiert.

Ausserdem könnte man das Netzwerk an validierenden Knotenpunkten einschränken (z. B. auf die aktuell zehn teilnehmenden Städte), was wiederum die benötigte Rechenleistung reduzieren würde. Dadurch hätte man zwar einen tieferen Grad an Dezentralisierung, dafür aber eine möglichst reibungslose Lösung für die Skalierung und die Kontrollmechanismen.

«Im Gegensatz zu Facebook und Google werden beim dezentralen Ansatz keine Daten mehr zentral gesammelt. Die Daten werden von mehreren Instanzen validiert und diese Validierung wird durch den Algorithmus gesichert im Netzwerk abgelegt.» Ozan Polat

Du sagst, dass wir mit einer technisch dezentralen Plattform ziemliches Neuland betreten. Wie stellen wir sicher, dass ab 2020 dennoch erste Calls for Projects gemacht werden können? Die NEXPO beginnt schliesslich schon heute.

Wir empfehlen, einen ersten Piloten für eine Plattform auf einer klassischen technischen Lösung aufzubauen und dort bereits die dezentralen Aspekte der Partizipation sowie Entscheidungsfindung einfliessen zu lassen. Graduell kann danach zu einer technologisch dezentralen Lösung übergegangen werden.

Wie sieht es mit der Datensicherheit und Datensouveränität aus? Wird diese Plattform zu einem datenhungrigen Kraken à la Facebook und Google?

Bei dezentralen Technologien wird die Plattform nicht mehr von einem einzelnen, zentralisierten Unternehmen betrieben, sondern läuft, wie im obigen Beispiel genannt, verteilt auf den Knotenpunkten aller Beteiligten.

Im Gegensatz zu Facebook und Google werden beim dezentralen Ansatz keine Daten mehr zentral gesammelt. Die Daten werden von mehreren Instanzen validiert und diese Validierung wird durch den Algorithmus gesichert im Netzwerk abgelegt. Datensicherheit und Datensouveränität sind bei Blockchain-basierten Lösungen sehr hoch.

Welche gesellschaftspolitischen Chancen ergeben sich für die Schweiz und für die zehn Städte aus dem Pionierprojekt «dezentrale Plattform»?

Innovationen im Bereich der dezentralen Technologien ermöglichen ein noch nie dagewesenes Mass an Partizipation. Die dezentrale Projektplattform bietet ein hervorragendes Testfeld für die Weiterentwicklung von E-Voting, E-Government, digitalen Identitäten und Datensouveränität.

Weitere Inhalte

NEXPO und Svizra27 gehen eigenständige Wege

Medienmitteilung vom 12. September 2024

Artikel lesen...

Landesausstellung: klare Unterstützung durch den Nationalrat

Erfolg für die vier Landesausstellungsinitiativen!

Artikel lesen...

NEXPO geht unter die Leute

Wanderausstellung zu Gast in der Bundesstadt

Artikel lesen...